„Ächt religiöse Bilder“
Die Stahlstiche des Vereins zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf“ von 1842 – 1943
Jesus Christus, der in Nazareth aufgewachsene Messias, wird im Neuen Testament nach seinem Wohnort Nazarener genannt. 1800 Jahre später spottet man in Rom über Künstler, die wie Mönche gekleidet sind, zurückgezogen in einem Kloster leben und sich mit religiöser Kunst befassen. Ihnen verpasst man den Spottnamen Nazarener, der später auch zur Bezeichnung eine Variante innerhalb der Romantik wird: das Nazarenertum.
Den Anfang haben die Nazarener in Wien. Die Bewegung begann mit Studenten, die seit 1804 an der Kaiserlichen Akademie der Bildenden Künste in Wien studierten. Hierunter befanden sich der Lübecker Patriziersohn Friedrich Overbeck und Franz Pforr, Sohn eines Frankfurter Malers. Sie rieben sich an der damals geltenden klassizistischen Kunstauffassung, die zwar die Antike liebte, aber Maler wie Albrecht Dürer, Hans Holbein der Jüngere oder Hans Baldung als „Primitive“ ablehnten. Den jungen Malern dagegen fehlte „Herz, Seele und Empfindung“, wie der 19-jährige Overbeck unter dem 27. April 1808 seinem Vater schrieb. Im Sommer 1808 entstand ein Freundeskreis, der sich regelmäßig traf, um künstlerische Themen zu besprechen. 1809 schlossen sie sich zusammen und bildeten den „Lukasbund“. 1809 gilt darum als Beginn des Nazarenertums. Vorbild für sie war nicht mehr der Klassizismus oder gar die höfische Kunst des Barock oder Rokoko, sondern das christliche deutsche Mittelalter und vor allem anderen die italienische Frührenaissance. Kunst und Leben sollten wieder eine Einheit bilden, die Erneuerung des Religiösen in der Kunst sollte das nationale Bewusstsein prägen. Den Hintergrund bildeten die romantischen und pietistischen Ideale ihrer Zeit. Nach Friedrich Schlegels Kunsttheorie war es die Aufgabe der Kunst, die „Religion zu verherrlichen und die Geheimnisse derselben noch schöner und deutlicher“ zu machen. Beeindruckt von Ludwig Tiecks Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“ wollten sie wie die Hauptfigur des Romans ihr Leben der religiösen Kunst widmen - bescheiden, treu und aufrichtig. Ihre Kritik an der Wiener Akademie wurde zu einem offenen Bruch, als diese 1809 die Anzahl ihrer Studenten reduzieren musste und die Lukasbrüder ausschloss.
1810 brachen Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Ludwig Vogel und Johann Konrad Ottinger nach Rom auf, um dort ihre italienischen Vorbilder zu studieren. Sie nahmen Quartier im leerstehenden Franziskanerkloster Sant’Isidoro auf dem Pincio und führten ein Leben als Außenseiter, äußerlich erkennbar durch ihre „altdeutsche“ Kleidung, die sie im Blickwinkel der Römer wie „Nazarener“ aussehen ließ. Ihrer quasi monastischen Lebensweise nach nannten sich die Künstler selbst „Lukasbrüder“. Fast alle Lukasbrüder traten zum Katholizismus über, Overbeck 1813, nachdem sein Freund Franz Pforr an Tuberkulose verstorben war. Weitere Künstler erweiterten den Kreis der Lukasbrüder: u.a. Ludwig Schnorr von Carolsfeld, Philipp Veit, Peter von Cornelius, und Wilhelm von Schadow. Vor allem Peter von Cornelius war prägend, weil er sich gegen die Ablehnung des Altdeutschen als „zu treuherzig“ durchsetzen konnte und dadurch die Themenkreise der Nazarener erweiterte: Die Antike war nicht Feind des Christentums, sondern Vorläufer, Landschaftsmalerei wurde nun nicht mehr als Thema ausgeschlossen.
Ihren Durchbruch erlebten die Nazarener 1818 im Rahmen des Besuchs des bayerischen Kronprinzen Ludwig in Rom. Ihm zu Ehren veranstalteten die in Rom lebenden deutschen Künstler ein Fest, bei dem die gesamte Ausgestaltung das nazarenische Selbstverständnis vermittelte.
Kronprinz Ludwig war tief beeindruckt und setzte seine neuen Erfahrungen in Taten um: 1819 berief er Cornelius als Professor an seine Königliche Akademie der Bildenden Künste in München.
Weitere Nazarener übernahmen leitende Funktionen in deutschen Kunstakademien. 1830 wurde Philipp Veit Vorsteher der Malschule und Direktor der Galerie in Frankfurt am Main, Johann David Passavant Inspektor des Städels in Frankfurt am Main.
Neben München und Frankfurt kam Düsseldorf als dritte deutsche Stadt unter den Einfluss der Nazarener. Die dort seit 1773 bestehende „Kurfürstlich-Pfälzische Academie der Maler, Bildhauer- und Baukunst“ war infolge des Ländertauschs 1805/1806, der u.a. den Verlust der Düsseldorfer Bildergalerie nach München verursachte, vernachlässigt worden. Das Königreich Preußen als neuer Landesherr sah in der Reorganisation der Akademie eine Chance für die preußische Kulturpolitik. Zum 1. Oktober 1819 wurde Peter von Cornelius zum ersten Direktor der nun preußischen Kunstakademie berufen. Der Lehrbetrieb begann 1822, akzentuiert wurden Zeichenkunst und Monumentalmalerei. Aber schon 1824 wanderte Cornelius und etliche seiner Schüler nach München ab, wo ihm der bayerische Kronprinz bessere Arbeitsbedingungen und ein höheres Salär bot. 1826 folgte ihm aus Berlin kommend Friedrich Wilhelm von Schadow als Direktor in Düsseldorf nach. Bis 1859 gewann unter ihm die Akademie internationalen Rang. Seit den 1830-er Jahren wurde der Begriff die „Düsseldorfer Malerschule“ mit der Akademie verbunden. Landschafts- und Genre-Malerei lockten Studenten nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Skandinavien, Großbritannien, Russland und Nord- und Südamerika an. Nach der Ausbildung in einer Elementarklasse (Kopieren von Zeichnungen, Abzeichnen von Abgüssen menschlicher Körperteile) folgte eine Vorbereitungsklasse (Arbeiten nach ganzen Gipsabgüssen und nach der Natur) und dann die Meisterklasse, die herausragenden Studenten vorbehalten war.
Schon die Kurfürstlich-Pfälzische Academie in Düsseldorf hatte eine Klasse für Kupferstecher besessen, die von Ernst Carl Gottlieb Thelott geleitet wurde. Sein Nachfolger wurde 1839 Joseph von Keller, der sein Handwerk an der Düsseldorfer Akademie, aber auch in Paris, gelernt hatte. Keller prägte die Kupferstecherschule der Akademie entscheidend. Seine anerkannte Stärke bestand nicht im bloßen Kopieren einer Vorlage eines Künstlers, sondern im Nachempfinden der künstlerischen Aussage. Ihm gelang es auch, die C. Schulgen-Bettendorffsche Kupferdruckrei 1849 von Bonn nach Düsseldorf zu holen, damit die steigende Nachfrage nach Drucken durch den Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen und den Verein zur Verbreitung religiöser Bilder befriedigt werden konnte.
Die Bedeutung des als Künstler und Lehrer geschätzten Joseph von Keller ergibt sich auch aus der großen Schar seiner begabten Schüler, u.a. Nikolaus Barthelmess, Fritz Dinger, August Anton Eitel, Carl Ernst und Wilhelm Forberg, Adam Goswin Glaser, Ludwig Heitland, Theodor Janssen, Franz Keller (jüngerer Bruder von Joseph von Keller), Heinrich Kipp, Josef Kohlschein, Friedrich August Ludy, Franz Paul Massau, Carl Mispagel, Heinrich Nüsser, Carl Wilhelm Overbeck, Andreas Pickel, Eduard Rittinghaus, Carl Friedrich Seifert, Rudolph Stang, Franz Xaver Felix Steifensand, William Unger und Johann Friedrich Vogel.
Der Verein zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf[1] war 1841/1842 unter dem Patronat von Johannes von Geissel, seit 1841 als vormaliger Bischof von Speyer Koadjutor des Erzbischofs von Köln, gegründet worden. Das Erzbischöfliche Generalvikariat in Köln hat den Verein 1844 als löblich anerkannt und empfohlen.[2] Gründer waren Maler, Kleriker und Kaufleute. Das Hauptziel des Vereins bestand darin, „religiöse Bilder von bewährten älteren und neuern Künstlern durch Stahlstich in alle Klassen des Publikums zu verbreiten“ (Artikel 1 der Vereinsstatuten). Gegen einen Jahresbeitrag von 2 preußischen Talern erhielt ein Vereinsmitglied jährlich sechzig Drucke von den erschienenen Bildern. Die Mitglieder konnten gegen geringes Geld weitere Drucke erwerben. Das Ziel des Vereins bestand nicht in einem hohen finanziellen Gewinn, sondern in einer Neubildung eines religiösen künstlerischen Geschmacks. Allein innerhalb der ersten 25 Jahre brachte der Verein 8 Millionen Drucke heraus.
Ein Verzeichnis der bis 1935 erschienenen Stiche enthält der kaum mehr irgendwo greifbare „Kupferstich-Katalog“ des Vereins aus dem Jahr 1935. Allerdings sind die Stiche hier nur numerisch erfasst, die Erscheinungsjahre fehlen. Zudem sind die Angaben zu den Stichen unvollständig, weil die Stecher nicht genannt werden. Benannt wird die jeweilige Papiergröße, nicht aber der Bildumfang. Die Wiedergabe vieler Stiche ist im Katalog kleinformatig und wenig brauchbar. Das Fehlen eines kritischen Verzeichnisses aller Stiche des Vereins ist gelegentlich angemerkt worden[3].
Weil mich das Andachtsbild des 19. Jahrhunderts interessierte, begann ich schon vor mehr als vierzig Jahren die Düsseldorfer Stahlstiche des Vereins zu sammeln, die man heute kaum mehr angeboten bekommt. Um die Stiche zu ordnen, hatte ich zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Ludwig Gierse nach Ordnungskriterien gesucht. Auf dieser Basis entsteht zurzeit ein chronologisches Verzeichnis der Stiche, der beteiligten Künstler und jeweils auch eine Beschreibung des Objekts. Wenn möglich, wurde auch die künstlerische Vorlage – ein Gemälde, eine Zeichnung, ein Relief – gesucht und in zahlreichen Fällen auch gefunden. Soweit dies bei dem jeweils beigegebenen Text zu einem Stich möglich ist, wurde auch versucht, das Thema des Stichs im 19. Jahrhundert zu verorten: Warum taucht der hl. Maximilian vor, warum erscheinen so oft der hl. Josef und die hl. Maria usw.?
Was hier im Internet nun präsentiert wird, ist ein kleiner Ausschnitt aus einem noch im Entstehen begriffenen Projekt, das in Buchform erscheinen soll. Dieser Internetauftritt soll das Thema bewusst und bekannt machen. Diese Präsenz erreicht vielleicht auch Sammler, die zusätzliche Informationen beisteuern können, für die ich dankbar bin.
Manfred Becker-Huberti
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[1] Ludwig Gierse: Das kleine Andachtsbild und der Verein zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf. In: Erzbischöfliches Diözesan-Museum Köln (Hrsg.): Religiöse Graphik aus der Zeit des Kölner Dombaus 1842–1880. Köln 1980, 21–28. Ludwig Gierse: Die Anfänge des Vereins zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf. In: Düsseldorfer Jahrbuch, Jahrgang 64 (1993), 155–162. Peter Mayr: Der Verein zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf. In: Max Tauch (Redaktion): Kleine Bilder – große Wirkung. Clemens-Sels-Museum Neuss, Neuss 1997, (= Ausstellungskatalog Neuss 1997), 33–44. Manfred Becker-Huberti: Die dritte Nazarener-Generation: Der Verein zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf. In: Historia magistra vitae. Gesammelte wissenschaftliche Beiträge und „Trümmer“. Festgabe zum 70. Geburtstag von Reimund Haas, hg. von Jürgen Bärsch und Hermann-Josef Scheidgen. (= Theologie und Hochschule, hg. von Reimund Haas, Stefan Samerski, Eric W. Steinhauer, Heft 5). Köln 2019, 28 - 41
[2] Schwickert 1895, 3.
[3] Peter Mayr: Der Verein zur Verbreitung religiöser Bilder in Düsseldorf. In: Ausstellungskatalog Neuss 1997, 33 – 44, hier 43.